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Krisenbewältigung: Erste Hilfe für die Psyche

Gilbert.Bintener

Info BASIS – Modell

Krisenbewältigung: Erste Hilfe für die Psyche

Wenn der Partner plötzlich stirbt oder ein schrecklicher Unfall das Leben von einem Tag auf den anderen verändert, ist professionelle Hilfe in Form von psychologischer Betreuung und Krisenintervention besonders wichtig. Warum, erklärt Dr. Cornel Binder-Krieglstein.

Es sind oft nur kurze Momente, die das Leben grundlegend verändern. Das müssen nicht immer Großereignisse wie ein Flugzeugabsturz oder ein Zugunglück sein. Auch bei besonders belastenden Situationen im privaten Bereich, wie bei Verkehrsunfällen oder Straftaten, ist es entscheidend, das Erlebte mittels professioneller Hilfe zu verarbeiten. Die Notfallpsychologie und Krisenintervention spielen hier eine wichtige Rolle. Sie hilft Opfern, Angehörigen oder sogar Helfenden durch psychologische Unterstützung.

Verlust des seelischen Gleichgewichtes

Doch was ist eigentlich eine Krise? „Von einer Krise spricht man, wenn ein plötzlich auftretendes, unerwartetes Ereignis die normalen Verarbeitungsmechanismen eines Menschen überwältigt“, erklärt PhDr. Dr. Cornel Binder-Krieglstein, Fachsektionsleiter der Notfallpsychologie beim Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP). Menschen reagieren auf belastende Situationen kulturunabhängig relativ ähnlich. Sie verlieren gewissermaßen das seelische Gleichgewicht, weil das Ereignis die eigenen Fähigkeiten und bisherigen Erfahrungen übersteigt. Es handelt sich dabei also um keine Krankheit, sondern um eine natürliche Reaktion des Körpers auf eine Notsituation. Eine Krise kann somit jeden Menschen in jeder Lebenssituation treffen, weshalb eine rasche Hilfe besonders entscheidend ist: „Studien bestätigen, dass eine frühzeitige Intervention wirksam ist. Diese muss schnell und fachlich professionell erfolgen und orientiert sich an unserem BASIS-Modell der Krisenintervention“, so Binder-Krieglstein.

Vor der Betreuung: Informationen einholen

  • Übergabe durch das Rettungspersonal
  • Überblick über die Situation verschaffen
  • Wo befindet sich der Verstorbene?

BASIS – Modell

B – Bindung herstellen

  • Vertrauen aufbauen ( sich vorstellen, setzen )
  • Wegführen vom belastenden Inhalt ( Raum wechseln )
  • Erzählen fördern ( kognitive Beobachtungsebene erfragen )
  • Abwehr respektieren ( nur wenn unvermeidbar konfrontieren )
  • Dabeibleiben ( Zeit individuell zur Verfügung )

 

A – Anerkennung der Situation/des Todes

  • Umsichtig Geschichte erfragen oder schildern, vorsichtig zum belastenden Inhalt hin führen
  • Abschied ermöglichen
  • Bewusstes beenden der Situation

 

S – Struktur geben

  • Notwendige Handlungsschritte begleiten und erklären
  • Strukturiertes Erzählen fördern
  • Positive Bewältigung fördern
  • Vorausplanen

 

I – Information weitergeben

  • Informationen über alle notwendigen Schritte geben
  • Fragen offen beantworten
  • Reaktionen erklären und normalisieren, wenn gefragt wird

 

S – Sicherstellen der Auffangnetzen

  • Kommunikation der Betroffenen untereinander fördern
  • Soziale Ressourcen nutzbar machen
  • An Nachsorgeeinrichtungen weitervermitteln
  • Angehörige/Freunde einbinden

Frühzeitige Intervention für langfristige Gesundheit

Ziel der Notfallpsychologie ist es, dass durch eine frühzeitige Intervention die Gesundheit aufgrund einer Krise langfristig nicht beeinträchtigt wird. Es geht also darum, das Erlebte zu verarbeiten und nicht zu verdrängen. Ein langer Leidensweg oder eine posttraumatische Belastungsstörung soll den Betroffenen erspart werden. Bei dieser auch als PTSD (Post Traumatic Stress Disorder) bezeichneten Erkrankung handelt es sich um eine Folgereaktion auf ein traumatisches Ereignis, das das Selbst- und Weltverständnis stark erschüttert. „Sie zeichnet sich durch drei Leitsymptome aus: Es werden Tätigkeiten oder Orte vermieden, die an das Ereignis erinnern. Des Weiteren kommt es zu immer wiederkehrenden Erinnerungen. Und schließlich sind die Betroffenen erhöht erregbar und haben Ein- oder Durchschlafstörungen sowie Änderungen im Aggressions- oder Appetitverhalten. Die Symptome können unmittelbar oder erst nach einem Jahr nach dem Ereignis auftreten“, so Binder-Krieglstein. Oft leiden die Opfer auch unter Erinnerungslücken und Desinteresse oder einer inneren Teilnahmslosigkeit. „Einige nehmen die Umwelt in der belastenden Situation wie durch eine Milchglasscheibe wahr. Sie glauben, dass der Vorfall nicht real sein kann und fokussieren sich auf Kleinigkeiten oder ziehen sich zurück“, sagt der Klinische- und Gesundheitspsychologe. Weil Betroffene alle Kraft in die Bewältigung der Krise stecken, sind sie oft im Alltag überfordert.

Verhaltensregeln für Außenstehende

Umso dringender haben viele Angehörige das Bedürfnis, ihnen zu helfen. Doch in welcher Form ist das in einer Notsituation überhaupt möglich? „Theoretisch können sie nicht helfen, weil sie durch das Naheverhältnis zum Betroffenen in ihren eigenen Emotionen gefangen sind“, so der Psychologe. Was man tun kann, ist, den Opfern das Gefühl zu geben, dass professionelle Hilfe verständigt wurde. Die Person sollte – wenn möglich – aus der belastenden Situation herausgenommen werden, indem man beispielsweise einen anderen Raum aufsucht. Auch ist es wichtig, als Außenstehender gut zuzuhören und sich aufmerksam die Geschichte erzählen zu lassen. „Man muss emotional verfügbar sein und auf die Wünsche der Betroffenen eingehen“, sagt der Psychologe. Vermeiden sollte man auf alle Fälle bewertende Aussagen und Ratschläge sowie das Anstellungen von Vermutungen. Bei Verhaltensänderungen – wenn die Arbeits-, Lebens- und Beziehungsfähigkeit leidet – ist umgehend ein Fachmann zu kontaktieren.